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AutorenbildDagmar Achleitner

Warum die nett gemeinten Ratschläge nicht wirklich weiterhelfen

Aktualisiert: 21. Feb. 2021

Ein Plädoyer für einen achtsameren Umgang mit Betroffenen nach einer Fehlgeburt


Beim nächsten Mal wird es schon klappen. Nun weißt du wenigstens, dass du schwanger werden kannst. Sei froh, irgendetwas war sicher nicht in Ordnung damit. So gut gemeint das auch sein mag, im Moment der Trauer hilft es wenig.


In den letzten Wochen habe ich die Erfahrung meines Schwangerschaftsverlustes sehr offen geteilt. Nach zahlreichen Gesprächen war ich überrascht, wie viele Frauen betroffen sind und wie wenig über eine Fehlgeburt gesprochen wird. Es betrifft doch so viele!?! Ich war traurig, dass sich so viele unverstanden in ihrem Schmerz fühlen, weil viele Paare im Stillen leiden. Ich war schockiert und verärgert, welche grenzüberschreitenden Reaktionen mache noch zu all dem erfahren mussten. Das alles hat mich bewegt, diesen Blogbeitrag zu verfassen.


Was sagt man einer Frau, die noch am Parkplatz nach der Diagnose von ihrem Partner als Babymörderin beschimpft wird? Wie kann eine Mutter zwei Wochen nach der Fehlgeburt ihrer ältesten Tochter schreiben, „Nun macht mich schlussendlich deine kleine Schwester doch noch zur Großmutter!“ Und noch eine letzte Grausamkeit: Wie kann eine Vorgesetzte zu einer Krankenschwester in einer Kinderklinik unmittelbar nach ihrem Verlust sagen, „Sei froh, dass du es nicht bekommen hast, es hätte sonst so ausgesehen wie dein Mann.“


Wie gerne würde ich diese Frauen in den Arm nehmen und ihnen sagen, dass sie diese Worte nicht an sich heranlassen sollen. Doch wie sollte man so etwas vergessen können und nicht persönlich nehmen? Natürlich sind das extreme Reaktionen und ich hoffe innständig, dass das Ausnahmen sind. Aber auch die gutgemeinten Floskeln können oftmals falsch ankommen oder auch nicht... Was du dabei bedenken solltest…


Der Wunsch, offen reden und trauern zu können, beschäftigt zahlreiche betroffene Frauen und Männer. Sie sehnen sich nach mehr Verständnis.

Du kannst ja wieder schwanger werden.“

„Beim nächsten Mal wird es schon klappen.“

„Nun weißt du wenigstens, dass du schwanger werden kannst.“

Wenn eine Frau einer Betroffenen erzählt, dass sie eine Fehlgeburt erlebt hat und danach gleich wieder schwanger wurde, kann das Hoffnung geben und bestärkend wirken. Unmittelbar nach der Nachricht vom Verlust einfach als erste und vielleicht einzige Reaktion zu hören, dass man ja sicher bald wieder schwanger werden wird, naja… Wenn du jemandem erzählst, dass du verlassen wurdest, möchtest du während dieses Gesprächs hören, dass du dich schon bald wieder verlieben wirst? Niemand würde dir sagen, dass du nun zumindest weißt, dass du eine Beziehung führen kannst. Jeder weiß, dass andere Mütter auch schöne Söhne bzw. Töchter haben, aber hilft das im Moment wirklich weiter? Und um ehrlich zu sein, du könntest dich bereits morgen in einen anderen Menschen verlieben.


Schwanger werden kann man so schnell auch wieder nicht.

Nach einer Fehlgeburt beschäftigen einen eben oft genau diese Fragen: Wann kommt die nächste Blutung? Wann können wir versuchen, wieder schwanger zu werden? Wann wollen wir es wieder versuchen? Wollen wir überhaupt jetzt oder überhaupt (noch) ein Kind? Wollen wir - mitunter auch nach mehreren Verlusten - das noch einmal durchmachen? Vielleicht blutet man tagelang, hat Nachblutungen, Schmierblutungen, der Körper fühlt sich anders an, die Gebärmutter zieht, von den Hormonen ganz zu schweigen… Gerade nach dieser Erfahrung wird einem schmerzhaft bewusst, dass man gewisse Dinge so gar nicht unter Kontrolle hat. Schon gar nicht, ein Baby zu bekommen. Ein bisschen mehr Achtsamkeit bei dieser saloppen Aussage wäre im Allgemeinen wünschenswert. Mir persönlich hilft es, in einem Gespräch bestärkt zu werden, dass ich sicher bald wieder schwanger werde. Aber Menschen, die mir das sagen, haben mich vor ein paar Wochen einfach nur gedrückt oder mir zugehört und nichts dazu gesagt.


„Es ist ganz normal, weißt du, es passiert so vielen.“

Wir müssen alle sterben und trotzdem hilft uns diese Tatsache nicht, wenn wir vom Tod eines Menschen erfahren. Aber ja, da Fehlgeburten so häufig vorkommen, ist es umso wichtiger, darüber zu sprechen. „Hilft es Ihnen zu wissen, dass viele Frauen diese Erfahrung machen?“, meinte mein Gynäkologe im Krankenhaus kurz vor der Verabschiedung.


Die Formulierung seiner Frage machte es aus und gab der Aussage die richtige Bedeutung.

Nein, es half mir persönlich gerade nicht viel, eine weitere Zahl in der Statistik zu sein. Ja, es half meinem Verstand zu verstehen, dass es "normal" ist und ich mir keine Sorgen zu machen brauche.


„Sei froh, irgendetwas war nicht in Ordnung mit dem Baby oder der Schwangerschaft.“

Wer um den Verlust seines Babys trauert, wird in diesem Moment nicht froh sein, auch wenn das ein triftiges Argument zu sein scheint. Es hilft, wie alle anderen Floskeln, wenig. Was helfen kann, ist die Bestärkung, dass man nichts falsch gemacht hat, denn vermutlich war etwas nicht in Ordnung mit dem Baby oder der Schwangerschaft. Viele Betroffene fühlen sich schuldig und vermuten, dass sie etwas hätten tun können, um den Abort zu vermeiden, obwohl das meist nicht möglich gewesen wäre.


„Naja, wer mit 40 noch schwanger werden möchte…“

„Mit 40 nimmt das Risiko halt zu.“

Danke, wir wissen, wie alt wird sind. Wer vor 40 noch keine Kinder bekommen hat, wurde in der Regel häufig auf sein Alter angesprochen und ja, wir kennen auch die Statistiken. An dieser Stelle erlaube ich mir als 40-jährige einen allgemeinen Ratschlag zu erteilen:


Ihr braucht uns beim Thema Schwangerschaft im Allgemeinen und bei einer Fehlgeburt im Besonderen nicht auf unser Alter aufmerksam zu machen!

„Du bist ja noch so jung, du hast noch Zeit.“

„Es war einfach nicht der richtige Moment?“

Wer weiß denn schon, wann der richtige Moment sein wird? Kannst du diese Frage wirklich für einen anderen Menschen beantworten? Und ganz unabhängig vom Alter: Auch wenn

man unerwartet schwanger wurde, heißt es nicht, dass der Verlust zwingend einfacher ist. Bis vor Kurzem dachte man noch, dass man schwanger werden könne, wenn man wolle. Dieser Illusion wurde man beraubt. Wird es beim nächsten Mal klappen? Vielleicht habe ich mich zu wenig darauf gefreut und es daher verloren? Vielleicht wollte man das Baby erst nicht, dann doch und plötzlich war wieder alles anders.


Eine junge Frau, die vergewaltigt und daraufhin schwanger wurde, schrieb, dass sie durch die unerwatete Schwangerschaft etwas Positives aus dieser tragischen Erfahrung mitnehmen konnte, ein Baby wuchs in ihr heran. Und dann kam schnell der nächste Schock - eine Fehlgeburt. Es war definitiv nicht der richtige Moment, dennoch litt sie unter dem Verlust. Zwei tabuisierte Themen auf einen Schlag: Wie wenig Verständnis wird diese Frau für ihren Schmerz über den Verlust ihres Babys wohl erfahren haben. Gut, dass sie sich in einem geschützten Raum Zuspruch von anderen Frauen holen konnte, auch wenn die wenigsten von uns ihre Erfahrung auch nur ansatzweise verstehen können. Das ist auch nicht notwendig. Wichtig ist, die Frau zu bestärken, dass all ihre Gefühle ok sind, dass wir sie in ihrem Schmerz sehen und wir ihr Kraft und Geduld für den intensiven Prozess des Verarbeitens dieser tragischen Erlebnisse wünschen.


„Es war ja gar kein richtiges Baby.“

„Sei froh, dass es so früh passiert ist.“

Auch wenn das Baby noch so klein war oder nüchtern betrachtet nur abgestoßenes Zellgewebe, der Schmerz und die Trauer sind real. Betroffene trauern um den Verlust ihres Kindes und all den damit verbundenen Hoffnungen und Träumen. Bei einer frühen Fehlgeburt kommt hinzu, dass die Schwangerschaft körperlich noch nicht sichtbar war. Vielleicht war es noch ein gut gehütetes Geheimnis. Wie trauert man über etwas, von dem viele gar nicht wissen, dass es da war?


Die Trauer nach Fehlgeburten ist oft eine stille, unverstandene Trauer.

Das kann sich ändern, indem mehr Bewusstsein für dieses Thema geschaffen wird und mehr darüber gesprochen wird. Auf einen Schwangerschaftsverlust angemessen zu reagieren ist schwierig. Jede Frau empfindet etwas anderes als unterstützend und angemessen. Zudem ist es nicht leicht, das unangenehme Gefühl auszuhalten, wenn man in die traurigen Augen einer Betroffenen blickt. Die Angst, etwas Falsches sagen zu können und deshalb besser nichts zu sagen, verstärkt das Schweigen.


Wenn wir bei traurigen Nachrichten im Allgemeinen auf die gutgemeinten Floskeln verzichten, wir nachfragen, zuhören, zulassen und nicht ausweichen und wir dem anderen Raum geben, sich in seiner Trauer zu öffnen und zu zeigen, können wir andere auf ihrem Weg der Heilung unterstützen.


Zu fragen, was der andere im Moment braucht, hilft.


Zu akzeptieren, was der andere braucht, auch wenn man es anders sieht, ist eine große Unterstützung.


Einfach nur für den anderen da zu sein, ist oft mehr als genug.

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